Narzissmus (3): Emotionale Analphabeten auf Erfolgskurs

Ausgeprägte Narzisst:innen leiden selbst erheblich unter ihrer Störung – früher oder später. Mindestens genau so groß ist das Leid, dass verursachen – insbesondere, wenn sie sich in einer machtvollen Position befinden.

Unter „Bösewichter und Quälgeister“ verortet das Autorenduo Hesse/Schrader in ihrem Kaleidoskop der „Neurosen der Chefs“ (Piper-Verlag) die Persönlichkeitsstörung des Narzissmus. Man nennt sie Egozentriker, Diva, Grande Dame oder Majestät - was fast als Verniedlichung wirkt, denn sie gehen mit ihrem Mitmenschen meist manipulativ, abwertend und ausbeuterisch um, immer im Glauben an die Welt als Ort eines von Egoismus geprägten Kampfs jede:r gegen jede:n.

Als Vorgesetzte sind Narzisst:innen oft kaum in der Lage, konstruktiv zu kooperieren. Andere Abteilungen, Teams, Bereiche oder Kolleg:innen werden abgewertet und in die Rolle des:der Übeltäter:in gedrängt, sobald etwa schief geht. Von ihren Mitarbeitenden fordern sie nicht nur Unterwerfung und absoluten Gehorsam – sie verlangen Liebe und Bewunderung. Ein lebendiges warmes Interesse am Gegenüber abseits eigener Ziele sucht man bei dem:der Narzisst:in vergebens. Im Umgang mit Konkurrenten kennt diese Spezies sowieso keine Gnade.

Doch irgendwie liegen Narzisst:innen im Trend: „Dynamisch-rücksichtslos-erfolgsorientiert und selbstbezogen“ lässt sich die Ideologie unserer Wirtschaft in wenigen Worten zusammenfassen. Ein Bild, das die täglichen Nachrichten regelmäßig bestätigen. Der Wunsch nach Macht und Prestige bringt Narzisst:innen häufig in Führungspositionen. Und verleiht ihnen damit erst den Wirkungskreis, um anderen das Leben richtig schwer zu machen.

Tatsächlich wäre die Welt ohne Narzisst:innen aber auch ärmer: Viele Erfindungen, Höchstleistungen oder Meisterwerke der Kunst wurden geschaffen, weil Narzisst:innen nicht Ruhen konnten in ihrem Streben nach Macht und Anerkennung. In homöopathischen Dosen dagegen wird ein gesundes Maß an Narzissmus zum Motor einer in der Regel steilen Karriere. Glanz und Gloria vieler Führungspositionen wird aus der Quelle ihrer narzisstischen Inhaber:innen gespeist.

Narzisst:innen kennen nur Freund oder Feind: Entweder man steht in ihrer Gunst - oder man ist weg vom Fenster (und das kann ganz schnell gehen). Wer nicht uneingeschränkt für ihn:sie ist, ist gegen eine:n Narzisst:in - und damit der Vernichtung preisgegeben. Zumindest fühlt sich das für Betroffene häufig so an.

Bei Dingen, die schief laufen, hat diese Persönlichkeitsspezies typischerweise erhebliche Probleme, den eigenen Anteil zu betrachten oder gar einzuräumen. Schuld sind immer die anderen und Kritik ist nicht erlaubt. Sie zuzulassen wäre schließlich viel zu bedrohlich für das Selbstwertkonto eines:einer Narzisst:in.

„Augen zu und durch“ bringt ein Narzissten-Opfer – so muss man sie tatsächlich nennen, jene geplagten Mitarbeiter:innen, Kolleg:innen oder Chefs, die sich mit einem solchen Menschen herum schlagen – als Strategie nicht weiter. Zu groß ist der persönliche Preis der zu zahlen ist.

Der vielleicht schwierigste Schritt, ist es, zu verstehen, dass man es mit dieser neurotischen Spezies zu tun hat. Ist dies vollbracht, heißt es, Umgangsstrategien zu entwickeln und gegebenenfalls externe professionelle Hilfe anzufordern.