Konflikte konstruktiv begleiten (2): Konfliktdiagnose

Einen Konflikt zu diagnostizieren heißt nicht, ihn zu verstehen. Es heißt auch nicht, eine Lösung zu kennen. Logischerweise heißt es auch nicht, den:die Schuldige:n identifiziert zu haben. Nichts dergleichen. Das wären große Missverständnisse – und tatsächlich bestehen diese Missverständnisse häufig, wenn wir als Berater:innen hinzu gezogen und mit entsprechenden Erwartungen konfrontiert werden.

Wenn wir von Konfliktdiagnose (sie kann im Auftrags des:der Chef:in der Konfliktbeteiligten intern oder extern – durch eine:n Coach/Berater:in – durchgeführt werden) sprechen, dann meinen wir einen Vorgang, der gleichzeitig

  • einen Lösungsprozess in Gang setzt (dadurch, dass – neue - Fragen aufgeworfen werden) UND
  • den Konfliktbegleiter:innen ermöglicht, Beobachtungen zu machen, Hypothesen über Lösungen und Lösungsbeteiligte zu bilden und sie zur Verfügung zu stellen.

Zur Wirkung von guten Fragen

Darüber ist schon sehr viel und sehr klug geschrieben worden (eine hervorragende Sammlung guter – auf im Konfliktfalle einsetzbarer – Fragen gibt es bei: www.sinnierkarten.de). Hier ist mir dies wichtig: Fragen haben tendenziell die Wirkung zu öffnen und Antworten haben tendenziell die Wirkung zu schließen. Da Konflikte meist darin bestehen und dadurch so destruktiv wirken, dass die Protagonist:innen geschlossen sind („er:sie macht zu“), ist eine Öffnung wünschenswert und notwendig, um eine echte Lösung zu erreichen. Eine Öffnung ermöglicht in der Regel auch, dass (wieder) Verantwortung für eine Konfliktlösung von den Konfliktbeteiligten selbst übernommen wird.

Konfliktbegleiter:innen denken und fühlen wie Forscher:innen. Sie erforschen mit ihren Fragen die Konfliktdynamik in einem gemeinsamen Prozess mit Konfliktbeteiligten und Konfliktumfeld, mit dem Ziel, Erkenntnis, Verständnis und Lösungsideen zu generieren. Dabei werten sie nicht. Andererseits können und wollen sie sich in die Welt der Beteiligten einfühlen und tragen so zu einer Atmosphäre von Zuhören und Verständigungswillen bei (dies ist es, was in Konflikten meist von allen Beteiligten schmerzlich vermisst wird).

Gute Fragen

  • stellen die Verantwortungs- und nicht die Schuldfrage,
  • gehen im Zweifel in Richtung Lösung und nicht in Richtung Problem,
  • werden aus echtem Interesse gestellt (enthalten keine Suggestion und keine Wertung),
  • entdecken und aktivieren Ressourcen,
  • sind immer zukunftsgerichtet – auch wenn sie die Vergangenheit beleuchten.

Beispiele für gute Fragen

  • Wie erleben Sie …?
  • Wie reagiert XY dann?
  • Welche Lösungen haben Sie schon versucht? Was war die Wirkung?
  • Wer wird für eine gute Lösung benötigt?
  • Was hat da funktioniert?
  • Was ist das dahinter liegende Bedürfnis? Worum geht es (eigentlich)?

Beobachtungen zu Papier bringen, Hypothesen bilden, aufschreiben und zur Verfügung stellen

Die Diagnose ist vollständig und gelungen, wenn es dem:der Konfliktbegleiter:in gelingt, seine:ihre Beobachtungen und Hypothesen dem:derAuftraggeber:in (Chef:in) und den Konfliktbeteiligten so – schriftlich – zur Verfügung zu stellen, dass gleichzeitig

  • die Selbstverantwortung der Konfliktbeteiligten aktiviert ist,
  • jede:r Konfliktbeteiligte sich gehört und verstanden fühlt, ohne, dass ihm:ihr nach dem Munde geredet wird,
  • die Perspektiven aller Konfliktbeteiligten eher weiter als enger geworden sind und daraus
  • zusätzliche, interessante, erfolgversprechende Lösungsansätze entstehen und
  • damit neue Lösungen versucht werden.

Die nächste Folge aus dieser Reihe befasst sich mit den Lösungsräumen, die Konfliktbegleiter:innen nach der Diagnosephase eröffnen können.

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