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#1 Führen bedeutet Bestimmen-Wollen?

Über Führungssäue und Großartigkeitsnotwendigkeit​. Ein Interview mit Karsten Weiberg.

Führen bedeutet Bestimmen-Wollen?

Ja, obwohl in flachen Hierarchien und in agilen Zusammenhängen „Bestimmen-Wollen“ oft als nicht mehr zeitgemäß erachtet wird. Ich ermutige die Project Owner und Scrum Master, die in meinen Seminaren sitzen, sich zu positionieren und es nicht als unangemessen oder unhöflich zu betrachten, sondern als notwendig für produktive Reibung. Und dies zu verbinden mit Zuhören und der Bereitschaft zur Auseinandersetzung. Dann ist Bestimmen-Wollen ein Riesenqualität.

Was zeichnet heutige Führungsgeneration im Gegensatz zu früheren Generationen aus?

Ganz klar: Die jederzeitige Bereitschaft zur Kooperation. Das intrinsische Wissen, dass man alleine nichts reißen kann. Die haben irgendwie eine weniger ausgeprägte Großartigkeitsnotwendigkeit. 

Was hat die heutige Generation weniger oder was muss sie sich erst wieder erarbeiten?

Ich glaube… vielleicht so etwas wie Verständnis für Bindung. Und Verständnis für veränderte Sicherheitsbedürfnisse. Ich muss den Jungen manchmal sagen: „Du hast eine Hand, die ist nicht nur für die Tastatur da, sondern die ist auch dafür da, sie einem anderen Mitarbeitenden entgegenzustrecken. Und sei es nur, um Guten Morgen zu sagen.“

Wenn Du den Menschen in Deinem Seminar „Führung für Potenzialträger:innen“ nur eine Erkenntnis, einen Rat mitgeben dürftest: Was wäre das? 

Finde heraus, wie Du tickst! Dazu gehört: Nimm Dich ernst in allem, was Dir begegnet, was Dir auffällt, an Dir, und was Du spürst, und was Dir wichtig ist … Damit Du zukünftigen Mitarbeitenden davon berichten kannst, wer Du bist. Damit Du von Herzen und gut fundiert sagen kannst: „Als Führungskraft will ich …“ 

Was möchtest Du, dass angehende Führungskräfte, die unter Deine Fittiche kommen, unbedingt (wieder) verlernen?  

Ihre Selbstzweifel in Bezug auf Ihre Ressourcen! Es gibt immer gute Gründe, warum sie als Potenzialträger:innen gesehen werden. Sie denken dennoch häufig „ABER … Ich muss dies, ich muss das noch lernen …“ Dieses defizitorientierte Lernen-Wollen möchte ich … sagen wir mal … mit ihnen besprechen. Mit der Formulierung „Ich muss“ können wir nicht viel anfangen!

Was fällt Dir bei Deinen Teilnehmenden auf?

Sie sind häufig so sozialisiert, dass sie ihren Führungsanspruch nicht deutlich kenntlich machen wollen. Sie lassen sozusagen ihre Führungssau im Stall. Das ist schade! Die Konvention, die immer noch oft Macht mit Machtmissbrauch verbindet, die schlägt sich nieder, in vorsichtigen Formulierungen und Höflichkeiten. Mich interessiert das nicht so sehr. Mich interessiert das, was dahinter liegt, wo zum Beispiel Leute sagen: „Ich will wirklich führen. Und es ist mir lieber, ich bestimme, als jemand anders.“ Klarheit der inneren Positionierung ist wichtig. Und sie dann nach außen tragen.

Woher kommt dieser furchtbare Titel „Führung für Potenzialträger:innen“? Oder findest Du das gar nicht so furchtbar?

Nö, find ich gar nicht so furchtbar. Das ist so’n Firmensprech. Die Unternehmen haben ja häufig Potenzialträger:innenprogramme. Aber wenn ich das jetzt spontan umformulieren sollte, würde ich das Seminar „Mit Selbstvertrauen heiter scheitern“ nennen.

Welche Illusion musst / möchtest Du Potenzialträger:innen“nehmen?

Dass es schnell geht. Man muss sich Zeit nehmen für menschliche Regungen und auftauchende Gefühle und auch für echten Streit. Manchmal gibt es bei den Jungen so eine vorauseilende Kompromissbereitschaft, sofortige Lösungssuche. Die Erfahreneren positionieren sich oft erst einmal klarer und mit mehr Reibungsbereitschaft. 

Würdest Du Deiner Tochter raten in eine große Organisation zu gehen? 

Das ist eine fiese Frage! … Ich habe über meine Neffen ein wenig Einblick in die Start-Up-Szene. Und ich bin tief beeindruckt, was die Leute da teilweise machen. Aus politischer und persönlicher Verantwortung heraus werden Unternehmen gegründet. Wenn aus einer inneren Haltung so etwas ausprobiert wird: Chapeau! Im Start-Up ist das wahrscheinlich leichter als in einem Großunternehmen. Bis in einem Großunternehmen echter Gestaltungswille Wirkung zeigt, das kann dauern … (Es gibt natürlich Ausnahmen :-) ...)

Warum ist Deine Arbeit wichtig für’s Unternehmen? Warum sollte ein Unternehmen so etwas bezahlen?

Weil es dadurch bessere und klügere Führungskräfte zurückerhält. Weil das geschärfte Verständnis seiner selbst zu besserem Zugang zu den Mitarbeitenden führt und damit zu höherem Zusammenhalt und Wir-Gefühl in den Teams. Man nennt solche Führungskräfte ja auch authentisch, ein Wort, dass irgendwie beliebig geworden ist, und dennoch das Wesentliche bezeichnet. Jürgen Klopp, der Fußballtrainer, ist ein wunderbares Beispiel, finde ich. Der Mann hat einen klaren Kompass, Zugang zu sich selbst und damit zu anderen.

Vielen Dank für das Interview, lieber Karsten!